Ein Minenwarnschild mit Totenkopf auf einem nebligen Hügel.

Angola gilt nach Kambodscha als das Land mit den meisten Minen im Erdreich.

Benguela -- «Da vorne liegen unsere Autos», sagt Beate Herrmann. Mit dem Finger weist sie auf ein paar ausgebrannte Lkw- Gerippe. Die Lastwagen gehörten der Deutschen Welthungerhilfe (DWHH), bis sie im Hinterland der angolanischen Provinz-Hauptstadt Benguela überfallen, geplündert und zerstört wurden. Das war noch, bevor der Krieg in dem afrikanischen Land nach fast 27 Jahren im Februar 2002 zu Ende ging. Heute versucht die traumatisierte Bevölkerung, den Frieden für einen Neuanfang zu nutzen. Wie steinig der Weg ist, zeigt sich wenige Kilometer hinter Benguela. Die DWHH- Mitarbeiterin Beate Herrmann fährt erstmals über eine gerade für minenfrei erklärte Strecke in die Kreisstadt Chila.

Es sind gut 100 Kilometer, die noch vor zweieinhalb Jahren ohne Geleitschutz kaum befahrbar waren. Der Landrover braucht heute gut vier Stunden dafür. Denn die Straße hinter dem Hafen von Lobito ist nichts weiter als eine Ansammlung von Schlaglöchern. Von einer Teerdecke ist kaum etwas zu sehen. Ein zerstörter Schützenpanzer am Wegesrand zeugt noch vom Krieg - das verbeulte Lkw-Wrack dagegen stammt aus der Neuzeit.

Denn auch ohne Krieg sind Fahrten auf der Hauptverbindungstraße nach Huambo nicht ungefährlich. Abgerissene Palmwedel auf der Straße warnen in der atemberaubend schönen Berglandschaft mit ihren zahlreichen Baobab-Bäumen vor liegen gebliebenen Lastwagen. Mal sind die Reifen von den scharfen Kanten der ansatzweise vorhandenen Asphaltdecke aufgeschlitzt, mal ist die ganze Hinterachse im Schlagloch weggebrochen. Der Verkehr auf der Strecke hält sich dagegen in überschaubaren Grenzen. Meist sind es Lastwagen von Hilfsorganisationen, die sich hier gelegentlich begegnen.

Der Slalom zwischen den fast metertiefen Löchern im Asphalt gerät zur Marterstrecke für Magen und Wirbelsäule. «Dabei ist das noch eine Art Highway», meint Gerd Rambow. Der gebürtige Erfurter ist in Angola Projektleiter der «Stiftung Sankt Barbara». Die aus Bonn stammende Stiftung ist eine von einem Dutzend Organisationen im Lande, die sich die Beseitigung der noch immer in der Erde liegenden Minen zur Aufgabe gemacht haben. Auf 10 bis 12 Millionen reichten erste großzügige Schätzungen nach dem Krieg. Auf sieben Millionen schätzt sie heute der britische Halo Trust, der einst durch einen Besuch von Prinzessin Diana in Angola die Minen-Problematik im Lande international in die Schlagzeilen brachte.

Angola gilt nach Kambodscha als das Land mit den meisten Minen im Erdreich. Arbeit genug mindestens für die kommenden 10 Jahre. Die Strecke nach Chila wurde gerade geräumt. Die als «Straße» angekündigte Piste entpuppt sich als das, was in Europa gerade noch als Feldweg durchgehen würde. Beate Herrmann ist dennoch des Lobes voll. «Eine tolle Straße, das wird unsere Fahrzeiten enorm verkürzen», meint sie. Sorge bereiten ihr nur die Brücken, die fast alle im Krieg zerstört worden sind. Sie wurden nur notdürftig repariert. Für ängstliche Gemüter sind die aus querliegenden Baumstämmen oder zwei parallelen Eisenträgern bestehenden Brücken jedenfalls nichts.

Dennoch ist die Strecke Rückgrat eines Entwicklungsprogramms, dass den Anschluss der ländlichen Bevölkerung an die Märkte der Großstädte garantieren soll. Es stellt den Übergang von der Nothilfe zur Existenzsicherung dar, die Nahtstelle von der bloßen Lebensmittelverteilung fürs tägliche Überleben zum Wiederaufbau. Er soll neue Perspektiven schaffen für eine Bevölkerung, die fast drei Jahrzehnte lang nur Krieg und Chaos kannte und nun in ihre Heimatorte zurückkehrt. Doch die Kriegsparteien hinterließen ihnen nicht nur Ruinen, sondern auch jede Menge versteckter Minen.

Solange die nicht geräumt sind, ist die Wiederansiedlung der Flüchtlinge auf Dauer kaum abzusichern. «Die überall im Erdreich schlummernden Minen behinderten eine vernünftige Entwicklung, die den Frieden stabilisieren soll», sagt Beate Herrmann. Sie befürwortete einen Einsatz der in Bonn ansässigen Stiftung. In Chila sind deshalb Rambows Stellvertreter Lutz Kosewsky und 28 Mitarbeiter mit zwei gepanzerten Spezialfahrzeugen im Einsatz. In Zelten haben sie sich vor der zerstörten Kirche auf dem Dorfplatz eingerichtet.

«Sankt Barbara» hat sich ihr Arbeitgeber nach der Schutzheiligen der Bergleute und Feuerwerker benannt. Beistand von oben haben die Mitarbeiter der Hilfsorganisation nötig, für die alle großzügige Lebensversicherungen abgeschlossen wurden. Denn die Risiken sind hoch - nicht nur durch die Minen - sondern auch Malaria, Typhus und andere Krankheiten. Kosewsky, der zuvor in Somalialand war, hat längst aufgehört, die Zahl der Malaria-Anfälle zu zählen.

Fast wäre für ihn die Arbeit schon zu Ende gewesen, bevor sie überhaupt begonnen hatte. Bei der ersten Besichtigung des Geländes hatten ihn die Bewohner über einen oft benutzten Trampelpfad geführt, den sie für minenfrei hielten. Wenig später buddelten Kosewskys Männer nur einen Fußbreit daneben eine kubanische PM-1-Tretmine aus. Von außen wirkt das unscheinbare Plastikteil wie Spielzeug. Wäre es explodiert, hätte es tödlich sein können. «Im Nachhinein läuft es mir noch kalt den Rücken runter», gesteht der 31-jährige Berliner. Ein falscher Tritt und der Bolzen hätte den Sprengstoff zur Explosion gebracht.

Seit Februar 2003 ist der frühere Bundeswehr-Soldat in Chila, rund 120 Kilometer nordöstlich der Provinzhauptstadt Benguela. Im Krieg wechselte der hübsch angelegte Ort fast wöchentlich den Besitzer. Gesicherte Erkenntnisse darüber, wer wann wo welche Minen gelegt hat, gibt es nicht. Seit vor zwei Jahren der Krieg endete, kehrten die Bewohner in das fruchtbare Reisanbaugebiet zurück.

Heute soll ein weiterer Teilabschnitt untersucht und geklärt werden. Dazu kommt ein «Wolf» zum Einsatz, ein namibischer Lizenzbau der aus Apartheid-Tagen stammenden südafrikanischen «Casspir»- Mannschaftstransporter. Da die dicken Reifen bei einer Explosion zerfetzt würden, hat man dem gepanzerten Fahrzeug massive Stahlräder untergeschraubt. Die Hitze im Innern öffnet alle Poren. Auf dem Kopf drückt das Vollvisier, auf den Schultern das Gewicht der Splitterschutzjacke. Sie stammen aus Kambodscha, wo man heute die Erfahrungen aus der dortigen Minensäuberung erfolgreich vermarktet.

Draußen stehen für den Ernstfall Erste-Hilfe-Koffer und Tragbahren griffbereit, die Aufkleber an der Splitterweste weisen Namen und Blutgruppe aus. Besorgt sehen die Minenräumer in ihrem «Wolf» aber nicht aus. «Auch wenn es hier höllisch heiß ist, hat es einen Vorteil», schreit Rambow in den Krach des lärmenden Motors: «Wir könnten hier sogar die Explosion von zwei Panzerminen auf einmal überleben.» Rumpelnd setzt sich das Monster auf seinen Stahlrädern in Bewegung. Die zersplitterte Seitenscheibe beweist, dass das Fahrzeug früher einmal Explosionen ausgesetzt war. Vor und zurück setzt der Panzerwagen, immer wieder. Kein Knall, keine Erschütterung - Rambows Leute haben gute Vorarbeit geleistet.

Zentimeter um Zentimeter auf den Knien rutschend hatten sie zuvor mit Eisenstangen schräg von der Seite das Erdreich geprüft und Buschwerk weggeschnitten. «Prodden», heißt das Verfahren im Fachjargon. Kosewsky: «Damit stellen sie sicher, dass sie nicht eine Sprengfalle auslösen.» Er weiß, wovon er spricht: eine Panzermine, die er geräumt hat, war mit einer darunter liegenden Handgranate gesichert. Hätte er die Mine unbedarft weggenommen, hätte die Granate gezündet.

Rund 700 000 Euro kostet die aufwendige Beseitigung eines rund einen Quadratkilometer großen Geländes sowie die Räumung einer 27 Kilometer langen Straße. Denn den geringen Herstellungskosten der teuflischen Sprengkörper stehen enorme Kosten bei der Suche entgegen. «Es ist wie das Suchen einer Nadel im Heuhaufen», sagt Rambow.

In der Provinzstadt Bocoio ist die Suche abgeschlossen. Von hier organisiert die Welthungerhilfe ihre Aktivitäten in der Region, berät beim Anbau, sorgt für die Ausbesserung der Bewässerungsanlagen oder die Reparatur zerstörter Schulen. Der Ort war Zufluchtsort für die 4900 Einwohner des Nachbarorts Balanca, als sich Regierungstruppen und UNITA-Rebellen dort heftige Gefechte lieferten. Vor anderthalb Jahren kehrten sie zurück in eine Ruinenlandschaft.

«Wir müssen hier mit allem wieder ganz von vorne anfangen», sagt der 61-Jährige Miguel Baleia. Tiefes Misstrauen gegenüber Fremden prägt noch immer Erwachsene und Kinder, die demnächst in der reparierten Schule unterrichtet werden sollen. Zuvor müssen jedoch erst einmal ein paar Rahmenbedingungen geändert werden. Denn als die Regierung drei Lehrer nach Balanca schickte, gab es dort kaum Unterkünfte. Die Dorfbewohner zeigten einen übertriebenen Hang zum Pragmatismus: Da die Toiletten im Ort unzerstört waren, quartierten sie die drei dort ein. Seitdem gibt es in Balanca nur noch einen Lehrer, der sich zur Zeit eifrig um eine neue Unterkunft bemüht.

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