Ein Minenwarnschild auf einem nebligen Hügel.

Die USA liefern der Ukraine nun auch Antipersonenminen. Dabei töten und verletzen diese zu 84 Prozent die Zivilbevölkerung. In einem zynisch anmutenden Akt fiel die Entscheidung, während in Kambodscha die Konferenz zum Verbot von Antipersonenminen stattfand. Ein zweiter Transfer wurde bereits angekündigt.

 

Die Zivilgesellschaft und zahlreiche Staaten haben diese Entscheidung verurteilt. Sie treten für ein starkes internationales System ein, das Menschenleben schützt und in Kriegen ein Mindestmaß an Zurückhaltung garantiert.

Das lesen Sie auf dieser Seite:

  • Sichere und intelligente Landminen sind eine Illusion
  • Deshalb ist die Lieferung von US-Antipersonenminen an die Ukraine fatal

Chronik der Ereignisse:

  • 02.12: USA wollen erneut Antipersonenminen liefern
  • 24.12: Überlebende von Minenunfällen setzen ein starkes Zeichen
  • 20.11: USA kündigen erstmals an, Antipersonenminen an die Ukraine zu liefern

Die Ottawa-Konvention verbietet alle Arten von Antipersonen-Minen. Der Wunsch der Ukraine nach Schutz vor dem übermächtigen Gegner Russland ist nachvollziehbar. Aber Landminen sind Waffen, die vor allem die Zivilbevölkerung treffen

Laut dem aktuellsten Landminenmonitor 2024 treffen Minen zu 84 Prozent die Zivilbevölkerung. Militärs verlegen die Waffen in der Regel, um gegnerische Armeen zu treffen, zu schwächen und zurückzuhalten. Doch den größten Schaden nimmt die Zivilbevölkerung. Landminen verlängern den Krieg gegen die Zivilbevölkerung auf Jahrzehnte nach dem eigentlichen Krieg. Auch viele Jahre nachdem sie verlegt wurden, sind sie oft noch bereit zur Explosion.

Sichere und intelligente Landminen sind eine Illusion

Keine Antipersonen-Mine ist sicher. Die USA haben angegeben, unter anderem nicht-persistente Landminen zu versenden. Also Landminen, die sich selbst nach einer gewissen Zeit zerstören. Doch sichere Landminen sind eine Illusion. Deswegen werden von der Ottawa-Konvention folgerichtig alle Arten verboten. Selbstzerstörungsmechanismen haben eine viel zu hohe Fehlerquote.

Schon während des Ottawa-Prozesses bemühten sich die USA erfolglos um ein Schlupfloch im Minenverbotsvertrag, um selbstzerstörende oder selbstdeaktivierende Antipersonenminen zu ermöglichen. Diese „intelligenten“ Minen stellen theoretisch eine geringere Gefahr dar. In der Praxis sind sie nach wie vor eine große Gefahr. Ihre "Intelligenz" reicht zum Beispiel nicht aus, um zwischen Kämpfenden und der Zivilbevölkerung zu unterscheiden.

Sie zu räumen, ist genauso aufwändig wie die Räumung herkömmlicher Minen. Denn von außen wird sich nie sagen lassen, ob eine Mine sich selbst deaktiviert hat oder nicht. Die USA setzten solche Minen zuletzt während des Golfkriegs 1991 ein und verstreuten über 117.000 selbstzerstörende Minen. Doch eine Untersuchung fand heraus, dass viele US-Kommandeure zögerten, sie einzusetzen. Zu groß erschien ihnen das Risiko, ihre eigenen Leute zu treffen und die Mobilität der eigenen Einheiten einzuschränken.

US-Lieferung von Antipersonen-Minen an die Ukraine sind fatal

Die Entscheidung der USA wird fatale Folgen für die Zivilbevölkerung haben - und hat auch noch weitere Konsequenzen, die über den aktuellen Konflikt hinausgehen.

Das internationale System aus verbindlichen Verträgen gerät ins Wanken

Die Ukraine ist Mitglied der Ottawa-Konvention. Sollte sie nun die US-Minen von höchster Stelle genehmigt einsetzen, wäre das ein klarer, bisher nicht dagewesener Verstoß gegen die Konvention. Es wäre ein gefährlicher Präzedenzfall, der den ganzen Vertrag zum Wanken bringen könnte. Es gab zwar bereits den Vorwurf, dass Streitkräfte der Ukraine Antipersonen-Minen einsetzten. Das wurde aber nach bisheriger Erkenntnis nicht von "ganz oben" genehmigt und stellte eine einmalige Gelegenheit dar, die von den ukrainischen Behörden untersucht wird. Bisher versicherten ukrainische Offizielle stets, sich an die Ottawa-Konvention zu halten. Das scheint nun vorbei zu sein.

Und schon gibt es erste Berichte, dass ein anderer Vertragsstaat, nämlich Finnland, den Ausstieg aus dem Vertrag erwägt. Wie bereits erwähnt ist die Angst vor einem Angriff Russlands und der Wille nach Schutz nachvollziehbar. Aber die Vergangenheit hat tausendfach gezeigt, dass der Preis dafür extrem hoch ist. Nicht umsonst sind der Ottawa-Konvention über 160 Staaten beigetreten. Das Leid der Zivilbevölkerung übersteigt den militärischen Nutzen bei Weitem.

Weltweite Bemühungen zum Schutz der Zivilbevölkerung werden torpediert

Nur durch ein sich immer weiter ausbreitendes Verbot von Antipersonen-Minen und intensive Minenräumung konnten die jährlichen Opferzahlen seit Unterzeichnung der Ottawa-Konvention massiv gesenkt werden (auch wenn es in den letzten Jahren wieder gegenteilige Entwicklungen gab - mehr dazu im aktuellen Landminenmonitor). Die letzten Jahre zeigen: Wenn wieder mehr Minen eingesetzt werden, gibt es auch mehr Unfälle.

Die USA handeln widersprüchlich

Die USA sind der weltweit größte Unterstützer von Minenräumung - und werden mit dieser Entscheidung das Problem nur noch vergrößern. Die Ukraine gilt bereits als eines der am meisten mit Landminen verseuchten Länder weltweit, da vor allem Russland im Krieg seit 2022 große Mengen an Minen verlegt.

Die Glaubwürdigkeit der USA wird leiden

Mit der Entscheidung bricht die Regierung Biden mit ihrer eigenen Politik - und nähert sich an die Politik von Donald Trump an:

Der Transfer von US-Antipersonenminen an die Ukraine widerspricht der von Präsident Biden im Juni 2022 veröffentlichten Richtlinie, die die US-Politik an wichtige Bestimmungen des Ottawa-Abkommens anpasste und den Einsatz und Transfer von Antipersonenminen außerhalb der koreanischen Halbinsel ausschloss. Was nun geschieht, ähnelt eher einer Richtlinie der Trump-Administration vom Januar 2020. Diese ermöglichte es den USA Antipersonenminen zu entwickeln und einzusetzen, solange sie als „nicht persistent“ gelten und sich innerhalb von 30 Tagen selbst zerstören.

Die Glaubwürdigkeit der USA und ihre Verlässlichkeit als internationaler Akteur schrumpft. Wenn sich einer der größten Player auf internationalem Parkett an keine Regeln mehr hält, hat das eine verheerende Signalwirkung. Die Glaubwürdigkeit der USA hatte bereits unter den Lieferungen von Streumunition durch die USA an die Ukraine gelitten.

2.12: USA wollen erneut Antipersonenminen liefern

Und sie tun es schon wieder. Nur kurz nach der ersten Ankündigung, auf die heftige nationale und internationale Kritik folgte, sowohl von der Zivilgesellschaft als auch von Staaten, wollen die USA erneut Antipersonenminen an die Ukraine liefern.

Dieses Mal sollen nur sogenannte intelligente Minen geliefert werden. Die US-Regierung veröffentlichte zwar keine Lieferliste, laut ICBL gaben Vertreter*innen der Regierung aber an, dass folgende Minen geliefert werden sollen: ADAMs, Volcano, and MOPM. Wie oben bereits beschrieben, sind intelligente und sichere Minen aber eine Illusion. Deshalb sind sie folgerichtig von der Ottawa-Konvention verboten.

Statements internationaler Akteure

24.11: Überlebende von Minenunfällen setzen ein starkes Zeichen

Niemand weiß das besser, als die Überlebenden von Unfällen mit Minen. Einige von Ihnen sind derzeit als Aktivist*innen auf der Minenkonferenz in Siem Reap in Kambodscha. Handicap International, die Überlebenden und andere Mitglieder der ICBL hatten am zweiten Tag der Minenkonferenz eine klare Botschaft für die Delegierten: Eine minenfreie Welt kann nur erreicht werden, wenn die Norm des Minenverbotsvertrags von allen Staaten befolgt wird.

Die Aktivisten standen in langen Reihen am Eingang der Konferenzhalle und begrüßten die Delegierten mit Slogans in verschiedenen Sprachen: Antipersonenminen sind ausnahmslos geächtet! Die Weitergabe von Antipersonenminen aus den USA an die Ukraine ist nicht akzeptabel. Diese Waffen töten, verstümmeln und bedrohen immer zuerst die Zivilbevölkerung. Die Vertragsstaaten sollten jeden Einsatz durch irgendeinen Akteur unter allen Umständen verurteilen.

20.11: USA kündigen erstmals an, Antipersonenminen an die Ukraine zu liefern

Es ist ein fatales Zeichen: Am 20. November laufen in Siem Reap in Kambodscha gerade die Vorbereitungen für die internationale Konferenz zur Ottawa-Konvention auf vollen Touren. 164 Staaten und zahlreiche Beobachter werden über ihre Erfolge in der Minenräumung, Unfälle mit Antipersonenminen, Versäumnisse und den Schutz der Zivilbevölkerung sprechen. Kurz zuvor wurde der Landminenmonitor veröffentlicht. Wie jedes Jahr stellt er eindeutig fest: Minen greifen die Zivilbevölkerung an. 84% ihrer Opfer sind keine Soldaten und Kämpferinnen. Mehr Aufmerksamkeit bekommt der weltweite Einsatz gegen Antipersoneminen zu keinem anderen Zeitpunkt im Jahr.

Für die US Regierung scheint das in einem zynisch anmutenden Akt der richtige Moment gewesen sein, eine fatale Entscheidung publik zu machen. Erneut bricht sie mit einem Tabu und mit ihrer eigenen Politik und wird zukünftig Antipersonenminen an die Ukraine liefern.

Die Washington Post, die den Transfer zuerst aufgedeckt, zitiert den US-Verteidigungsminister Lloyd Austin:

Sie brauchen Dinge, die dazu beitragen können, die Bemühungen der Russen zu verlangsamen. Die ukrainischen Streitkräfte stellen ihre eigenen Minen her, und die von den USA zur Verfügung gestellten Minen wären selbstaktivierend, selbstdetonierend, und das macht sie ... letztendlich viel sicherer als die Dinge, die sie selbst herstellen.

Der Wunsch der Ukraine, sich selbst zu verteidigen, ist nachvollziehbar. Doch zu welchem Preis? Bereits jetzt ist das Land das am meisten verminte Land der Welt, nachdem Russland hemmungslos Landminen und andere Waffen einsetzt, die vor allem die Zivilbevölkerung treffen. Sollte die Ukraine die gelieferten Minen wirklich einsetzen, werden noch mehr unbeteiligte Menschen sterben und wird das Leid noch länger anhalten. Denn wie oben bereits beschrieben, sind sichere und intelligente Minen eine Illusion. 

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